Alltag am Weg

Hittisau – Seit dem Abzweig von der Hauptstraße geht es – einem Bergzug folgend – sanft, aber merklich hinauf. Je weiter, desto näher rücken die Wolken. Lange begleiten den Weg beidseitig kleine freistehende Hofstellen, bevor er, hinter dem Wald, auf eine Hochebene mit Vorsäßen mündet – eine Lebensader, ganz dem bäuerlichen Wirtschaften gewidmet.Ein Bach, eine Bodenwelle: Der Weg schlägt heftiger aus, als würden zwei Häuser ihn aus der Ruhe bringen. Das bergseitige zeigt seinen geschindelten Giebel. Ein Abzweig führt gerade auf einen Vorplatz zu. Breit lagernde Stufen, ein großzügig gedeckter Eingang, zwei Türen, ein Fensterband darüber – unverkennbar zeigt sich der Neubau, der sich doch in Material, Volumen und Silhouette kaum von den Nachbarn unterscheidet.Ein altes Bauernhaus stand an dieser Stelle, das Elternhaus von Urs Schwarz. Zahllose Umbauten begleiteten diese Zeit, wurden verwickelter, aber der Kern blieb. Mit dem Generationswechsel stand ein grundlegender Wechsel an, und alle Versuche, dies unter dem alten Dach zu bewältigen, scheiterten letztlich an der Bausubstanz.

Eine schmerzhafte Erkenntnis, in vielen Stunden gemeinsam ausgebrütet. Von Anfang mit dabei: Architekt Gerhard Gruber, der im Laufe dieses Prozesses aufs Beste mit den Wünschen und Möglichkeiten von Jungen und Alten vertraut wurde. Die Idee zum Neubau entstand fast naturwüchsig. „Nach diesem Prozess war der Entwurf geradezu von selbst im Bleistift“, erinnert er sich.

Was so reift, ist mit kräftigen, klaren Strichen gezeichnet: ein Volumen, zwei Wohnungen auf zwei Ebenen für zwei Familien, gemeinsamer Eingang, Orientierung in entgegengesetzte Richtungen. Der Baukörper folgt dem Hang, hat ein Dach wie die Häuser ringsum und eine Fassade aus üblichem Material. Der Eingang liegt in der Achse des Weges, blickt zum Dorf, der Kirchturm grüßt von fern. Ein normales Haus.

Konstruiert ist es, wie man hier baut – Betondecken, mittig Betonpfeiler bis unters Dach, darauf Firstpfetten, die Fassade tragende, vorgefertigte Holzelemente, wo nötig durch Stahlstützen unterstützt. Die Holzfenster sind außen verkleidet, Alu blank. Innenausbau mit Gipskarton und Weißtanne, Eichenböden, die Akustikdecke aus Tannenholz. Geothermie, thermische Kollektoren und Fußbodenheizung garantieren ohne künstliche Lüftung Raumklima und Niedrigenergiestandard. Das Haus ist so gewöhnlich wie seine Umgebung. Die Kraft des Entwurfs zeigt sich innen: Der Weg – Rückgrat der Siedlung am Hang – setzt sich hier fort. Ein Flur in Verlängerung der Straße, der Privaträume von Nebenräumen scheidet und sich zu Kopfräumen weitet. Wohn- und Essräume, Arbeitsraum oder Jagdzimmer. Raumgreifend die Wohnräume, Ausblicke über Eck, jeweils einen großzügigen Schopf integriert, oben bis unters Dach reichend, ebenerdig zu einer Terrasse verlängert.

Wie die Kraft des Entwurfs so der Bau. Mit der Eingabe war die Arbeit des Architekten abgeschlossen – von einigen Regeldetails und wenigen Baustellenbesuchen abgesehen. „Das ist schon beachtlich: mit so wenig Aufwand ein solches Qualitätsniveau zu erreichen. Da braucht es entsprechende Bauherren, Vertrauen, Verständnis, Wertschätzung – zwischen Alt und Jung, Bauherren und Architekt und Handwerk“, führt Architekt Gruber aus und Bauherr Schwarz ergänzt: „Bei dieser Klarheit gab’s keine Änderungen. Wir haben uns ganz auf Material, Detail und Handwerk konzentriert. Mit den Leuten geredet. Mitgedacht und mitgemacht – und Selbermachen macht’s dann zum eigenen Haus.“ Der Vollständigkeit halber sei angemerkt: Da waren Handwerker am Werk, die aus der Fülle tradierten Könnens und neuester Technik schöpfen.

Ein normales Haus, gewöhnlich – banal? Wo bleibt die Architektur? Wie verkehrt gedacht! Die Kraft und Geradlinigkeit, das Fehlen aller Art von Sperenzchen schafft erst die Voraussetzung, dass Leben einziehen kann. Das Robuste erlaubt das Ungezwungene, ganz Unverkrampfte. Das ist, was dem Bauherrn erlaubt, selbst zu bauen, weiterzubauen, Dinge zu tun, die dem Architekten kaum eingefallen wären – was dem wiederum gefällt. Die Entscheidung zum Gebräuchlichen schafft die Freiräume zum Leben. Qualität ganz eigener Art – die Gestalt des Alltäglichen. Alle guten Dinge haben etwas Lässiges und liegen wie Kühe in der Wiese, meinte Nietzsche. Genauso passt das Haus in die Landschaft.

Hausverstand nennt Urs Schwarz das. Der Projektentwickler und Bauer nach dem Büro mit Ausbildung als Innenarchitekt weiß, wovon er spricht. „Ein normales Haus, kein bunter Hund“, pflichtet Architekt Gruber bei. So können alle mittun, in gegenseitigem Respekt und berechtigter Erwartung: Bauherren, Planer, Handwerker. Wie überzeugend der Weg war, trotz Abschied vom liebgewonnenen Haus, sagen die knappen Worte der Mutter: „Zurück ging ich nimmer.“

Daten & Fakten

Objekt: Zweifamilienhaus in Hittisau

Eigentümer: Brigitte und Urs Schwarz, Marika und Gotthard Schwarz

Architektur: Gruber Locher Architektur, Bregenz,

Statik: planDREI, Günther Hammerer, Andelsbuch

Planung: 2010–2011

Ausführung: 4/2011–1/2012

Wohnnutzfläche: 2 x 130 m²

Keller: 200 m²

Grundstücksgröße: 1000 m²

Bauweise: Ständerbau 26 cm Dämmung; Schindelschirm; Geschoßdecken in Vollbeton auf Stahlstützen;

Keller: Vollbeton; Fußböden: gebürstet und geölte Eiche rustikal und geschliffener Estrich; Heizung: Erdwärme und Stahlspeicherofen; Innenwände: rohe Weißtanne und Gipskarton;

Fenster: Holz-Alu-Fenster aus Weißtanne mit eloxiertem Aluminium

Besonderheiten: Integrierte Wandschränke; Akustikdecke Weißtanne im Obergeschoß in Eigenarbeit

Ausführung:
Baumeisterarbeiten und Zimmerer: oa.sys, Alberschwende;
Fenster: holz-kultur, Krumbach;
Innenausbau: Tischlerei Kaufmann, Reuthe;
Heizung: Christoph Bereuter, Sibratsgfäll;
Stahlspeicherofen: Ewald Voppichler, Egg;
Küchen: Tischlerei Michael Kaufmann, Reuthe (Karlheinz Gasser)

Energiekennwert: 35 kWh/m² pro Jahr

(VN/ Leben & Wohnen)

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten.
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