Große Freude

Andelsbuch – Außerordentliche Ereignisse haben mitunter gewaltige Wirkungen. Das ist heute nicht anders als um diese Zeit vor 2012 Jahren – große Freude zu guter Letzt bei aller Dramatik des Anfangs.Der Anfang schlägt ein, der alltägliche Trott ist zerbrochen, die geistige Spannung steigt, Zweifel drängen heran, der eigene Platz wird neu gesucht. Der Horizont weitet sich, Beziehungen werden geknüpft, Erinnerungen und Bilder stellen sich ein. Dabei kann das, was dabei entsteht, von ganz handfester Natur sein.

So war es im vorliegenden Fall. Am Anfang stand ein dramatisches Ereignis, ein Gelübde, ein Versprechen, Zeichen zu setzen – einen Raum des Gedenkens zu schaffen. Ein Raum, der einen angemessenen Ort braucht, weiten Horizont ebenso wie besonders sicheren Grund. Gefunden wurde dieser Ort an der Hangkante der „Niedere“, auf 1587 m über dem Meeresspiegel und 1190 m über dem Bodensee, diesen fest im Blick. Ein felsiger Gupf der nach Westen geneigten Ebene, am auslaufenden Kamm der Winterstaude ist der gesicherte Ort.

Doch es ist auch der Raum, genauer: der Bau dieses Raumes, der den Ort schafft. Als hätte er magnetische Kräfte, versammelt sich die ganze Großartigkeit dieser landschaftlichen Umgebung in diesem Bau mit heiligem Ernst. Und doch ist ihm alles Schwere fremd, alles Geschwätzige und Gemeinte sowieso.

Ein Haus des Gedenkens aus dem Stoff, aus dem hier Häuser sind: Holz, roh, gesägte Dielen aus Fichten von hier oben, die 150 Jahre Zeit bis zur geeigneten Größe brauchen. Einem Blockbau gleich, wie die ganz alten Häuser. Freilich: ein Blockbau der besonderen Art, Wände wie Dach, nicht mit Balken gemauert, sondern stehende Dielen – „Mann an Mann“, wie der Architekt Andreas Cukrowicz sagt – an First und Traufe „gestrickt“. Der Raum umlaufend aus Holz, auf einem Sockel aus hier gesammelten Steinen aufsitzend.

Und diese umlaufende Linie ist es, was die Form macht: ein Haus mit spitzem Dach – „das Haus des Nikolaus“. Ein Haus, wie es Kinder (noch) zeichnen, nicht mehr, nicht weniger. Damit wird es ein Zeichen, elementar, stark, mit jenen eigenartigen Kräften ausgestattet. Konzentration, die mit asketischer Reduktion nichts zu tun hat – und die geeignet ist, der Aufgabe gerecht zu werden.

Die Kraft des Zeichens ist jedoch nicht beliebig. Sie rührt daher, dass sie etwas bezeichnet, das uns ganz selbstverständlich und grundlegend ist. Was wiederum mit der Weihnacht zu tun hat – da suchte ein junges Paar Schutz und Geborgenheit. Das bereitzustellen, ist vornehmste Aufgabe von Bauen. Wenn dies in einer Weise geschieht, die von Sorgfalt und Bedacht zeugt, vom Bemühen um eine gültige Form, dann entsteht Architektur. Das ist wirkliche Architektur – und alles andere ist alles andere.

Wer die Kapelle betritt, überschreitet eine Grenze – von der erhabenen Natur in einen Raum höchster Kultivierung. Hier walten die elementaren Prinzipien der Triangulatur und Quadratur. Eine grundlegende Einheit – Holz vom Querschnitt 10 x 20 cm – gibt das Maß. Architektonische Elemente sind deutlich entwickelt, setzten sich – wie bei der Giebelwand – entschieden ab. Doch sie sind kein geometrischer Selbstzweck, sondern werden vermittelt zur Kultur des Nutzers durch dezenten Bauschmuck – eine Kreuzesblume, ein Schallgitter.

Der Bau wird so zum Bild: Die persönliche Erfahrung des Schicksalsschlags gibt den Anstoß, doch der treibt über den Schmerz hinaus, sucht das Weite, neue Beziehung, beschwört einen über den Anlass hinausgehenden Geist. Ist es verwunderlich, dass der Bau von einer Gemeinschaft Gleichgesinnter und Freunde, die Architekten eingeschlossen, ausgeführt wurde? Gemeinsames Tun und persönliches Erleben.

So wird die Kapelle zum Bild davon, was Geborgenheit – geistige ebenso wie körperliche – in einer rauen, auch unwirtlichen Welt sein kann: Teilhabe an einer schöpferischen Ordnung – elementar und jenseits privater Ideen.

Daten und Fakten

Objekt: Bergkapelle Alpe Vordere Niedere

Eigentümer: Leo und Irene Feuerstein, Andelsbuch

Architekt: cukrowicz nachbaur architekten, Bregenz, Andreas Cukrowicz, Anton, Nachbaur-Sturm, Emanuel Gugele, ChristianSchmölz, Vera Hagspiel, Hermann Nenning

Statik: Gordian Kley, Merz Kley Partner, Dornbirn

Wettbewerb: Dezember 2007 (1. Preis)

Planung: 10/2007–10/2008

Bau: 9–11/2008

Nutzfläche: 23 m²

Seehöhe: 1589 m

Bauweise: vertikaler Strickbau, ungedämmt, Profilmaß 10/20 cm für Boden-, Wand- und Dachkonstruktion

Ausführung: Ignaz Düringer, Franz Fink, Thomas Fink, Hansjörg Mätzler; Grundmauern: Kaspar Alois Lipburger, Ignaz Düringer, Andreas Feuerstein, Josef Geser, Markus Höfle, Anton Mätzler, Hansjörg Mätzler, Erich Wirth; Zimmermannsarbeiten: Hubert Meusburger, Schwarzenberg mit Team, Jodok Mätzler, Andreas Cukrowicz, Anton Nachbaur- Sturm, Michael Abt; Schlosser: Anton Felder, Felder Mechanik, Andelsbuch; Glaser: Glas Marte, Bregenz; Dachdecker: Herbert Peter, Schwarzenberg; Tür, Altar und Bänke: Andreas Flatz, Egg; Kerzenständer, Opferstock, Weihwasserschale: Günter Wirth, Andelsbuch

VN/ Leben & Wohnen

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg, Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter architektur vorORT auf v-a-i.at

Mit freundlicher Unterstützung durch Arch+Ing

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