Leben & Wohnen: Kaplanhaus Hittisau

Das Große beim Bau – ist das immer der Neubau? Steht nicht oftmals an erster Stelle, der Vernachlässigung, der Verwahrlosung und dem Verfall Einhalt zu gebieten? Ist Privatinitiative dabei den Institutionen überlegen?Das ging einem beim Kaplanhaus in Hittisau durch den Kopf – einem herausragenden Denkmal, das mit dem Pfarrhaus und dem Benefiziathaus ein einzigartiges Ensemble im Zentrum des Orts bildet. Über Jahre hinweg war zu verfolgen, wie dieser Bau im Besitz der Kirche verfiel. Eine junge Familie hat nun den Lauf der Dinge gewendet. Anfrage, Umwege, viel Geduld – ein halbes Jahrzehnt hat es gebraucht. Nun, die Wege des Herrn sind unergründlich, doch heute lautet die frohe Botschaft: Das Haus – und somit das Ensemble – erstrahlt in neuem Glanz.

Unmittelbar benachbart, bilden ehemaliges Benefiziathaus, Kaplanhaus und Pfarrhaus ein Ensemble gleicher Bautypen – des Pfarr- oder Amtshauses mit annährend quadratischem Grundriss und entschieden abgesetztem Walmdach. Doch die ähnlichen Häuser erzählen unterschiedliche Geschichten. Das Benefiziathaus lebt heute in einem Neubau ähnlicher Form fort – sein Vorgänger wurde um 1770 errichtet. Ihm folgte 1773/94 das Kaplanhaus, dann 1856 das Pfarrhaus. Das Kaplanhaus selbst hat sein Gewand mehrmals gewechselt. In seiner Jugend zeigte es sich als heller Kubus mit Kalkputz, als das Pfarrhaus neu gebaut wurde, erhielt es einen Schindelschirm wie dieses, ein halbes Jahrhundert später folgte die Vergrößerung der Fenster, dann nochmals dieselbe Zeitspanne später Modernisierung, neue Böden und Türen.

2009 konnten dann nach Jahren des Leerstandes Ida Maria Bals und Walter Beer das Haus in desolatem Zustand erwerben. Geplant von Architekt Walter Beer begann nun die grundlegende Sanierung, Bauleitung durch Ida Maria Bals. „Man muss ziemlich offen hingehen an so ein Projekt – vieles hat sich erst während der Bauzeit entwickelt. Man muss laufend mit den Handwerkern sprechen“, meint der Architekt und Ida Bals ergänzt: „Am schlimmsten waren gleich die ersten Tage – da ist uns ein erheblicher Teil der Trockenmauer des Sockels eingestürzt. Das konnte aber behoben werden. Umso wichtiger: dass man an Handwerker gerät mit Gespür – für die Substanz, aber auch für den Wunsch, möglichst viel wiederzuverwenden.“

Der Bau thront auf einem Hügel und entwickelt sich als Strickbau auf einem gemauerten Sockel mit Kriechkeller. Die vornehmen Wohnräume liegen in der Beletage, die Schlafräume im Obergeschoß. Anstelle der zu erwartenden mittigen Erschließung verrät der Grundriss die Herkunft vom Wälderhaus mit der Stube an der Südostecke des Hauses und einer Flurküche westlich der mittigen Haupttragwand. Im Unterschied zum Vorbild liegt die Treppe zweiläufig unmittelbar neben dem Eingang – wohl die originale Lage nach neuesten Erkenntnissen. Die alte Westwand neben dem Treppenhaus zeigt, wie stark das bäuerliche Vorbild wirkt: Als Schrumpfform des Wirtschaftsteils war sie „Opferwand“: eine Ständerwand knapp einen Meter vor der Strickwand – Wetterschutz und Raum für einen Minimalschopf mit WC.

Unerwartet die Hauptrichtung des Umbaus: in die Tiefe. Sicherung von Hang und Haus am Fuß des Hügels durch eine großzügige Garage – deren Dach heute die Wiese vor dem Haus ist. Der nächste Eingriff geht ebenfalls nach unten: Der Boden des Kriechkellers wird um ca. 1 m tiefergelegt, die Fundamente des Sockels mit einer umlaufenden Betonverbreiterung als Sitzbank vergütet – ein neues Erdgeschoß ist gewonnen. Erst dann geht’s hinauf: die genannte „Opferwand“ wird durch eine weitgehend aufgeglaste Ständerwand nach heutigem Standard ersetzt; der Innenraum wird größer und um einen großen Balkon ergänzt. Der vormalige Küchenflur gliedert sich nun in Treppen-Flur und neue, helle Essküche.

Nun folgen die eigentlichen Sanierungsmaßnahmen, ausgeführt mit großer Sorgfalt und genauer Beobachtung. Das Haus erhält einen neuen Schindelschirm mit 10 cm Dämmung. Das Kaltdach ist neu gedeckt und mit 25 cm gedämmt. Die Kastenfenster sind innen saniert, außen samt Läden neu. Eine neue Treppe ersetzt die marode – eine Wangenkonstruktion mit Details, die unmittelbar einleuchten. Ansonsten: Erhalten, etwa das weiß lackierte Täfer der Wohnräume. Erhalten und freilegen: etwa den sichtbar belassenen Strick im Flur und Treppenhaus oder die meisten Böden. Erhalten und neu setzen, was auf dem Dachboden zu finden war: etwa die Türblätter oder den Kachelofen. Weiter und wieder nutzen, wo immer möglich. Wo nichts zu erhalten war, etwa bei der zerstückelten Nordwand oder neuen Innenwänden: Neukonstruktionen in Fichte oder Gipstafeln.

Was so entstand, hat nichts zu tun mit akademischer Altertumspflege, umso mehr mit einem Reichtum an Stimmungen, der gar nicht zu planen ist – zum Preis eines gewöhnlichen Wohnhauses. Völlig neuartige Raumgebilde neben gewöhnlich Lässigem, noble historische Raumgestaltung neben modernster Einrichtung, rohes Holz neben feinsten Anstrichen, lebhafter Wechsel von Alt und Neu – belebende Kontraste überall, wohl bedacht. Da spricht Leben aus allem – mit den Worten der „Bauleiterin“: „Man muss immer dabei sein. Und man muss auch viel selber machen – kein Fachmann nimmt einem das ab.“

 

Daten & Fakten

Objekt ehemaliges Kaplanhaus, 1793/94
Wohnnutzfläche 140 m2
Keller 60 m2
Grundstücksgröße 515 m2
Eigentümer Wolfgang Beer, Ida Maria Bals
Planung (Zeit) 2009
Ausführung 2010-2011
Bauweise Strickbau, gedämmt 10 cm, Schindelschirm, Westseite, Ständerbau 20 cm Dämmung, Holzdecken, Kaltdach, 25 cm Dämmung, Ziegeldeckung
Keller Trockenmauerwerk,, betonvergütete Fundamente
Garage 60 cm, Stahlbeton, teilweise Holzverkleidung
Fußböden historische Dielenböden, nur wo notwendig schallvergütet, historische Fliesen
Heizung Fernwärmenetz Hittisau, Radiatoren, Geser-Kachelofen
Innenwände neu Fichte, Gipskarton mit Kalkschlämme
Fenster Kastenfenster, innen saniert, Außenfenster und Laden neu
Besonderheiten weiß lackiertes Täfer in den Wohnräumen mit integrierten Wandschränken
Küche Stahlküche (Forster)
Ausführung Hoher Anteil Eigenarbeit, Baumeisterarbeiten: Wälderbau; Zimmerer: Nenning, Hittisau; Fenster: Beer, Schnepfau; Innen-ausbau: Nenning + W. Bereuter, Lingenau; Böden: H. Fink, Au
Baukosten ca. 400.000 Euro

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